Niederschrift nach Erzählungen von Lucie Hess am 6.12.1984 und 12.12.1984 in der Leipziger Str. 54 von Dr. Alfred Drögemüller. Zusammengetragen von Nov. 1984 bis Febr. 1985 von Ursula Suhling (Bezirks-Geschichts-Kommission der VdN Berlin), Grete (Saefkow-Gruppe „Ilse“) und Alfred Drögemüller.
Zielstellung: Sammlung von Fakten über die Tätigkeit (Unterkünfte, Verbindungen, Wirken) des Genossen Bernhard Bästlein vom Tage seiner Flucht aus dem Gefängnis Plötzensee am 29. Januar 1944 bis zu seiner erneuten Festnahme am 30. Mai 1944.
Am 28./29. Januar 1944 fand ein Luftangriff statt, bei dem Teile des Hauptgefängnisses Plötzensee zerstört wurden. Dabei gelang es Bernhard Bästlein zu fliehen. In Plötzensee hatte B.B. vom Genossen Alf Raddatz, den er aus Hamburg kannte, die Adresse der Lebenskameradin des Raddatz, der Lehrerin Johanna Falcke in Berlin-Halensee sowie die Adresse des ihm (Raddatz) bekannten Tischlermeisters Walter Glass in der Wilhelmstraße erhalten. Genosse B.B. hat zunächst versucht, sich mit Glass in Verbindung zu setzen. Das misslang, weil das Viertel um die Wilhelmstraße wegen der Einwirkungen des Bombenangriffs abgesperrt war. Danach hat er sich nach Berlin-Halensee begeben.
Johanna Falcke hat ihn zum Genossen Willy Jungmittag, der in den Gubitzstraße wohnte, gebracht. Dort ist er etwa eine Woche geblieben. (Luzi erinnert sich, dass sie und ihre Schwester Vera Wulff mindestens zweimal dem Genossen B.B. Essen gebracht haben). Genosse Jungmittag hat ihn dann – nach etwa einer Woche – zur Familie Glass gebracht, die ihm bis zu seiner Verhaftung Quartier gegeben hat. Auf der Fahrt von Jungmittag und Bästlein in der S-Bahn haben Franz Jacob (der Mann mit der Wolldecke unter dem Arm) und „Ilse“ (Grete Drögemüller) den Bernhard gesehen.
Angaben zur Familie Glass, zu deren Wohnverhältnissen und Bekanntenkreis:
Der Vater Walter Glass, früher Mitglied der SPD, ein fortschrittlich gesinnter Mann, hatte in der Wilhelmstraße 5 eine Modelltischlerei, mit der er gut verdiente. Seine Frau und eine seiner Töchter lebten damals in Groß-Gandern, östlich von Frankfurt/Oder. Eine andere Tochter war verheiratet in Coburg. Zwei weitere Töchter lebten in Berlin beim Vater: Luzi, verheiratete Nix und Vera, verheiratete Wulff. Die Familie Glass hatte eine Wohnung in Berlin-Schöneberg. Wegen der häufigen Luftangriffe haben sie ein Angebot von Freundinnen – die Geschwister Hanna Döring und Bertha Kieser (nach 1945 Professor Bertha Stocker) – angenommen, in deren leerstehende Wohnung in Zehlendorf, Berliner Straße 18, zu ziehen. Hanna Döring war zu einer Freundin nach Wannsee gezogen und die Genossin Kieser war in München. Zu den Bekannten der Familie Glass gehörten: Willy Schürmann-Horster (hingerichtet 1943), dessen Frau Claire (Luzi nennt sie ihre und ihrer Familie Parteimutter), der Bühnenbildner Quedenfeld, der angeblich bei der Gestapo im Rheinland Selbstmord begangen hat, die Genossinnen Kieser und Döring, sowie der Genosse Otto Marquardt, der im Rüstungsministerium beschäftigt war. Vera und Luzi besuchten etwa fünf Jahre lang das Berliner Abendgymnasium mit dem Ziel, das Abitur zu machen.
Bereits am ersten Abend, als Genosse Jungmittag B.B. zur Familie Glass gebracht hatte, schrieb Bästlein das Flugblatt, das am Schluss die Frage enthielt: „Wo bist Du, Genosse mit der Wolldecke?“ Genosse Marquardt hat es dann übernommen, das Flugblatt weiterzuleiten und vervielfältigen zu lassen.
Gewohnt hat Bästlein in der Regel in der Wohnung von Hanna Döring, Berlin-Zehlendorf, Berliner Str. (dort war auf dem gleichen Flur auch die Wohnung von Bertha Kieser). Gelegentlich hat er auch in der Werkstatt, Wilhelmstraße 5 übernachtet. Außerdem war er im Besitz der Schlüssel zur Wohnung der Familie Glass in Schöneberg.
Vater Glass hat mehrere Male versucht B.B. zu bewegen, Berlin zu verlassen und ihm eine sichere Unterkunft auf dem Lande angeboten. Genosse B.B. hat das stets abgelehnt und darauf hingewiesen, dass es die Pflicht sei auszuharren und weiter zu arbeiten, auch wenn man draufgeht, damit die Sowjetunion sieht, dass es eine Widerstandsbewegung gab und wir einen annehmbaren Friedensvertrag bekommen.
Er hat mit der Familie Glass besprochen, was sie nach einer evtl. Verhaftung sagen sollten. Sie müssten alles auf ihn schieben, denn er kriege sowieso das Todesurteil.
Verhältnismäßig schnell gelang es, B.B. mit Ausweispapieren zu versorgen. Das wurde ermöglicht durch eine Lucie Beltz, die bei der Polizei beschäftigt war. Der Ausweis lautete auf den Namen Ernst Wichmann. Es wurde auch ermöglicht, ihm einen Ausmusterungsschein zu beschaffen. Lebensmittelkarten beschaffte ein Genosse Willi Laudin, der auf einer Reisestelle für Soldaten beschäftigt war. B.B war sehr interessiert daran, mit Genossen in Verbindung zu kommen. Da er sich sehr konspirativ verhielt und Luzi nicht mehr wissen wollte als sie wissen musste, kann sie über die Kontakte des Genossen B.B. zu anderen Genossen wenig sagen. Bekannt war ihr, dass er Verbindung hatte zur Genossin Grete Krause, Wohnhaft in der Nähe vom Alexanderplatz, die Luzi kannte, weil diese zum Kreis um Willy Schürmann gehörte und früher zu der Familie Glass gekommen war. Luzi wusste auch, dass Grete Krause, die sehr vorsichtig war, für B.B. Schreibarbeiten erledigt hat. Luzi wusste auch, dass B.B. der Bertha Kieser mündliche Mitteilungen an einen Bekannten in München gegeben hat ((Otto Graf, schriftl. Hinweis von Ursel Hochmuth)).
B.B. hat Luzi veranlasst, Zyankali zu besorgen. Es gelang, mithilfe eines Lehrers (Walter Warbe) in seinen Besitz zu kommen. Warbe gehörte auch zum Kreis um Claire Schürmann-Horster. B.B hat dann in der Wilhelmstraße das Zyankali dosiert, in Glasröhrchen (8 – 9) gefüllt und mit rotem Talglicht verschlossen. Die Röhrchen sind später von Saefkow/Jacob an einige Mitarbeiter verteilt worden. „Ilse“ hat bei ihrer Festnahme ein solches Röhrchen zerbissen, ist ins Krankenhaus gebracht worden, und es gelang ihr, nach einigen Tagen zu flüchten.
Am 4. Mai sind dann Franz Jacob und B.B. in der Wilhelmstraße zusammengetroffen. Diesen Treff haben Anton Saefkow und „Ilse“ draußen überwacht.
Luzi war Zeugin, dass es zwischen B.B. und F. Jacob unterschiedliche Auffassungen darüber gab, wie die Flugblätter unterzeichnet werden sollten. Jacob wollte sie unterzeichnen mit „Nationalkomitee Freies Deutschland“, B.B. Dagegen mit KPD.
Über die näheren Umstände der Verhaftung von B.B. am 30. Mai 1944 weiß Luzi nichts. Als B.B. an diesem Tag die Wohnung verließ, sagte er, er wolle zu Grete Krause, dann eine Schreibmaschine wegbringen und dann Verbindung aufnehmen zu bürgerlichen Leuten. Das sollte im Norden von Berlin stattfinden. Um 18 Uhr wollte er zurück sein.
Da in der Anklageschrift gegen Saefkow, Jacob, Bästlein vom 10.8.1944 festgestellt wird, dass B.B. zusammengearbeitet hat mit „Hermann“, Rosenberg, Hämmerling, Sänger, Schmidt, Lene Reichle (Grünau), Oranienburg („Heinz“), Marquardt, Jungmittag, ((Heinz Plüschke – handschriftl. Einfügung von Ursel Hochmuth)) kann angenommen werden, dass zwei von ihnen, deren Namen getarnt sind, („Hermann“ und „Heinz“) ((nein – handschriftl. Einfügung von Ursel Hochmuth)) für die Gestapo gearbeitet haben. „Hermann“ ist vermutlich identisch mit dem Spitzel Rambor.
Die Familie Glass – Walter Glass, Luzi Nix und Vera Wulff – wurden am 5. Juli 1944 verhaftet. Sie wurden zu je 4 Jahren Zuchthaus verurteilt. Luzi nimmt an, dass sie von einem gewissen Hartwig verraten wurden, der auf demselben Flur in der Berliner Straße wohnte und zwar in einer der Wohnungen der Schwestern Döring oder Kieser. Er hatte also Einblick in das Leben der Familie Glass und ist auch mit B.B. zusammengetroffen. Er wurde nie verhaftet. Nach 1945 wurde er wegen Vergehens an kleinen Mädchen verurteilt.
Berlin, 6. Februar 1985
Abschrift, angefertigt am 24. Febr. 2018 von U. S.