Zum Selbstverständnis der Kinder des Widerstands

Kinder und Enkel von Verfolgten und Widerstandskämpfer*innen (Hmb.)

Im Jahr 2017 haben wir Kinder von Verfolgten des Naziregimes und von Widerstandskämpfer*nnen uns in Hamburg zusammengefunden. Seitdem treffen wir uns regelmäßig und arbeiten an verschiedenen Projekten. Wir tauschen uns über den Kampf und die Leiden unserer Vorfahren aus und sprechen über unsere eigenen Erlebnisse und Erfahrungen als Nachkommen.

Wir versuchen Dinge zu entschlüsseln, die uns noch verborgen sind, möchten erfahren, was andere erfahren haben und erleben, wie andere mit dem umgehen, was uns geprägt hat und weiter beschäftigt. Es eint uns eine tiefe Abscheu gegen den Nazismus und alle Formen des Faschismus.

Viele von uns haben ein sehr bewegtes, politisch aktives Leben hinter sich und waren schon als Jugendliche in den verschiedenen Bewegungen gegen alte und neue Nazis, gegen den „Muff aus tausend Jahren“ und für Frieden und Demokratie dabei. Die meisten von uns haben quasi mit der Muttermilch ein „kommunistisches Menschenbild“ vermittelt bekommen, denn dessen Kern – ein Leben ohne Ausbeutung, ohne Rassenhass, in Gleichheit und Solidarität einte in der Nazizeit den Widerstand. Doch schon bald nach der Befreiung vom Faschismus führte der Kalte Krieg zur erneuten Verfolgung unserer Eltern, wurden einige von uns vom Berufsverbot bedroht.

Wir mussten uns mit den Enthüllungen über die Willkür und über die Verbrechen auseinandersetzen, die im Namen unserer Ideale verübt wurden und die manche unserer Eltern und Großeltern auch ganz persönlich trafen. Und nicht zuletzt erlebten wir die Niederlage des „realen Sozialismus“, das vorläufige Ende des Traumes mehrerer Generationen.

Gleichzeitig hatten manche von uns ein zweites, inneres Kampfgebiet; gegen die Folgen von Folter und Misshandlungen und die psychischen Schäden,  die unsere Eltern und Großeltern in den Lagern der Nazis und während ihres widerständigen Lebens erlitten und an uns weitergegeben hatten und über die zum Großteil geschwiegen wurde. Hilflos mussten wir mit den Auswirkungen dieser psychischen Prozesse umgehen, ohne sie überhaupt verstehen zu können, denn die Ursachen lagen ja außerhalb der eigenen Person. Ob und wie wir die an uns weitergegebenen Beschädigungen  zunächst verstehen konnten und in der Folge die Auswirkungen in uns erkennen und bewältigen konnten und ob wir genügend Souveränität über unser eigenes Leben von ihnen mit auf den Weg bekommen haben, das war und ist bei jeder und jedem von uns anders ausgeprägt.

Wir waren mit einer Vielzahl von Widersprüchen konfrontiert, mit vielen z.T. parallel verlaufenden historischen Prozessen. Fest steht: Wir waren nicht nur die Objekte der Erziehung unserer Eltern und Großeltern. Wir waren und sind auch die Subjekte unseres eigenen Lebens. Wir achten und schätzen die historische Tat unserer Eltern, die im Kern darin bestand, den mörderischen Nationalsozialisten eine elementare Humanität entgegen gehalten zu haben. Dieses Widerstehen fand oft auch unspektakulär, im Stadtteil, in den Ghettos, in den KZs, in Auschwitz, unter Partisanen, an den Fronten, in der Zuchthauszelle, in Kriegsgefangenschaft und im Exil statt.

Diese Humanität möchten wir Kinder und Enkel weitertragen. Wir möchten die mutigen Taten der Verfolgten und Widerständigen zusammentragen und bewahren, die sich gegen den rassistischen, nationalistischen, sozialdemagogischen und terroristischen Faschismus und Nationalsozialismus auflehnten. Vielleicht können wir daraus manches rekonstruieren und verstehbar machen und mithelfen neue Bilder für eine friedliche Zukunft zu entwerfen.

Wir Kinder und Enkel haben für uns beschlossen vielfältige, lebendige, manchmal auch berührende Treffen zu gestalten. Dabei wollen wir nicht ausschließlich politische Kriterien und Zielsetzungen haben: Wir wollen von und über uns sprechen. Als gesellschaftlich engagierte Menschen sind wir selbst auch Thema, wenn wir das wollen.

Die Konfrontation mit dem Leid und dem Kampf unserer Eltern und Großeltern hat unser Leben entscheidend mitgeprägt. Wir denken, dass persönliche Begegnungen auch in Zeiten neuer Medien ein wichtiges Element des Erinnerns und des Gedenkens bleiben. So empfinden wir Nachkommen es auch als unsere Aufgabe unsere eigenen Erfahrungen und die unserer Vorfahren in Gedenkveranstaltungen, in Schulen und Bildungsstätten, weiterzugeben. Mögen unsere Lebens- und Familiengeschichten die Menschen von heute zu einer widerständigen Haltung gegen Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevision, gegen Ignoranz, Menschenverachtung und Kriegstreiberei anregen. Als Nachkommen der NS-Verfolgten, des Widerstands und des Exils wollen wir uns gemeinsam für eine Welt des Friedens, der Freiheit und der Solidarität einsetzen.

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