Wir trauern um Ilse Jacob

Ilse Jacob am 3. Juni 2023, als sie mit uns ihren 80. Geburtstag nachfeierte (Foto: Miguel Ferraz Araújo)

Auf kaum jemanden trifft das Wort «unermüdlich» so sehr zu, wie auf Ilse, die seit unserem ersten Treffen 2017 ein aktives Mitglied der «Kinder des Widerstands» war. Sie war die Tochter von Katharina und Franz Jacob, beide Eltern standen in der ersten Reihe des kommunistischen Widerstands in den Jahren des Naziterrors, dem Franz Jacob zum Opfer fiel. Er wurde am 18. September 1944 hingerichtet.

Ilses Start ins Leben war denkbar gefährdet. Sie wuchs ohne Vater auf – er wurde nach Jahren der KZ-Haft 1939 entlassen, baute die große Bästlein-Jacob-Abshagen-Widerstandsgruppe in Norddeutschland mit auf, wurde 1943 erneut von der Gestapo gesucht, verließ Hamburg und arbeitete illegal in Berlin weiter. Katharina reiste mit der kleinen Ilse nach Berlin, dort arrangierte die Genossin Charlotte Gross ein geheimes Familientreffen. So befand sich Ilse für ein paar Stunden im Arm des Vaters. 1944 wurde die Mutter – ebenfalls erneut – verhaftet, sie übergab Ilse den Nachbarn, die sie zu den Großeltern brachten. Katharina erlebte die Befreiung während des Marsches aus dem KZ Ravensbrück Ende April 1945.

Ilse war ihr Leben lang organisiert, in der Geschwister Scholl Jugend, dem SDS (1963 als Hamburger Vorsitzende), der VVN-BdA (langjährig als Mitglied des Hamburger Vorstands), der DKP und in der GEW. Immer wenn sie gefragt wurde, berichtete sie z. B. vor Schulklassen über den Kampf ihrer Eltern.

Ilse rezitierte freudig während unseres Gründungstreffens 2017 das Gedicht „An die Nachgeborenen“ von Bertolt Brecht. Es hing als Poster an der Wand, sie kannte es auswendig. Sie war eine zurückhaltende Frau, aber sehr klar in ihren Haltungen und hat sich eingemischt. Zugleich war sie offen für Neues, z. B. für die Zusammenhänge transgenerationaler Weitergaben, die uns im Hintergrund der Erzählungen und Berichte über die Angehörigen im Widerstand immer klarer wurden.

 Als eine unserer ersten Arbeitsgruppen hatte sich 2017 die Editionsgruppe gebildet, Ilse war mit der Autobiografie ihrer Mutter Katharina Jacob dabei. Das Manuskript hatte Jahrzehnte in der Schublade gelegen und Ilse war froh, dass wir es im Sinne ihrer Mutter überarbeiten und veröffentlichen wollten. Viele Treffen fanden in Ilses Wohnung statt, manchmal auch mit Ruth Stender, die aus England anreiste und ihr Buch über ihren Vater und dessen zwei Brüder auf Deutsch veröffentlichen wollte. Die Treffen waren inspirierend und arbeitsintensiv. Der mit uns befreundete Germanist Jörg Petersen arbeitete mit Ilse das gesamte Manuskript ihrer Mutter sehr genau durch. Sie hat nach dem Erscheinen viele Lesungen mit dem Buch gemacht.

Ilses Leben war geprägt von politischer Arbeit bis zum Schluss. Seit Beginn nahm sie regelmäßig an den Mahnwachen vor dem Stadthaus teil. Wir erlebten sie an ihrem 75. Geburtstag, als wir gemeinsam Lieder sangen, die sie gerne mochte, begleitet von René, u. a. das Lied vom Baggerführer Willibald. Ihr Geburtstag, ausgerechnet am 9. November, war immer geprägt von Mahnwachen am Josef-Carlebach-Platz und anderen Gedenkfeiern. Für Ilse war das Erinnern und Mahnen ein zentrales Anliegen, und zwar auf der Basis eines tiefen Verständnisses der gesellschaftlichen Zusammen-hänge, so wie es der »Schwur von Buchenwald« forderte.

Wir sind sehr froh, dass wir ihren 80. Geburtstag – aufgrund ihrer Krankheit verspätet – im Juni 2023 im Rahmen einer Feier für mehrere Geburtstags-kinder nachfeiern konnten, mit kurzen Ansprachen und Musik von »Resistencia« und der »Hamburger Songgruppe«. Wir sind auch froh, dass wir sie noch zweimal aus dem Stift, in dem sie die letzten Monate lebte, zu unseren Plena abholen konnten. Ilse Jacob ist am Dienstag, den 20. Februar 2024 im Alter von 81 Jahren gestorben. Seit zwei Jahren hatte sie eine schwere Krankheit, die sie – wie vieles Andere im Leben – tapfer ertragen hat. Ihre ruhige Art, ihre Stimme fehlt uns und auch ihr prägnantes Lachen.


Für die Kinder des Widerstands Gabi und Andre

Hier ist Ilse Jacob, zweite von links, am 18. September 1964 auf einer Veranstaltung des Kuratoriums Ehrenhain im Hotel Norge