Biografische Skizze
Hans Lebrecht, geboren am 8. 11. 1915 in Ulm als Sohn einer jüdischen Fabrikantenfamilie, gestorben am 25. September 2014 im Kibbuz Bet-Oren (Israel), wurde als Jude in Nazi-Deutschland verfolgt. Er kam mit Antifaschisten in Kontakt, gehörte ab 1935 dem jüdischen und kommunistischen Widerstand an und mußte deshalb 1938 nach Palästina fliehen. In Palästina wurde Hans Lebrecht Mitglied der Kommunistischen Partei, für die er ab 1955 als Journalist und zeitweiliger Abgeordneter in der Knesset (israel. Parlament) viele Jahrzehnte tätig war.
Kurz vor Ostern 1934 wird Hans Lebrecht, ein Jahr vor seinem Abitur, der Schule verwiesen, weil Juden nicht mehr zum Abitur zugelassen werden. Er beginnt eine Lehre in den mechanischen Werkstätten Zobel & Beck in Ulm. Die rassistischen Nürnberger Gesetze werden am 15. 9. 1935 beschlossen – und wieder wird Hans in der Folge fristlos gekündigt, denn die Handwerkskammer erzwingt die Entlassung. Er kann aber aufgrund guter Kontakte seines Vaters die Lehre in Neisse ( heute Nyda) in Oberschlesien fortführen. Hier findet Hans erstmals Kontakt zu kommunistischen Widerstandszellen, bekommt von den Genossen vielfältige Unterstützung und Literatur. Es erschließt sich ihm eine neue Welt und ein Wendepunkt in seinem Leben nimmt Gestalt an: er wird aktives Mitglied des Widerstands. Als ein jüdischer Miteigentümer des Werks zum Verkauf seiner Anteile gezwungen wird, erfährt Hans im Oktober 1936 wieder eine Diskriminierung, er wird fristlos entlassen. In der Badischen Maschinenfabrik in Durlach setzt er seine Lehre fort, hält seine Kontakte zum Widerstand aufrecht und kann im Mai 1937 die Gesellenprüfung ablegen. Hans arbeitet nun auch in seiner Heimat bei Ulm im jüdischen und kommunistischen Widerstand.
Im Herbst des Jahres 1936 lernt Hans Tosca Loewy, seine große Liebe und spätere Ehefrau kennen. In diesem Jahr feiert seine Familie das letzte gemeinsame Familienfest in Ulm. Hans arbeitet nun, wiederum aufgrund familiärer Beziehungen, für das Palästina-Amt in Berlin und reist erstmals als Leiter einer Hachschara-Jugendgruppe, die sich auf die Auswanderung nach Palästina vorbereitet, in den Nahen Osten. Die Arbeit im legalen, zionistisch orientierten Palästina-Amt ist eine gute Tarnung für die kommunistische Widerstandsarbeit. Hans schmuggelt in dieser Zeit ehemalige politische Gefangene, geflüchtete KZ-Häftlinge und andere Verfolgte in die Schweiz und nach Südfrankreich, von denen viele sich dem Thälmannbataillon, das im spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republik kämpft, anschließen wollen. Dann erhält Hans die dringende Warnung, es liege ein Haftbefehl der Gestapo gegen ihn vor. So muss er im September 1938 fluchtartig, nur mit einem Touristenvisum ausgestattet, Deutschland verlassen und nach Palästina auszuwandern. – Dort wartet inzwischen bereits Tosca auf ihn.
Hans und Tosca heiraten am 10. Oktober 1938 und schlagen sich zunächst mit Straßenmusik und allerlei Gelegenheitsjobs durch. Als Nazi-Deutschland mit dem Überfall auf Polen bereits den Krieg begonnen hat, findet Hans eine Stelle in der vom Ulmer Exilanten Leo Kahn gegründeten Textildruckerei „Palästine Textile Printing“. Palästina, damals britische Kolonie, wird 1940 von der faschistischen italienischen Luftwaffe bombardiert. Vor diesem Hintergrund wird Hans im Dezember 1940 von der britischen Kolonialpolizei verhaftet, da er sich illegal in Palästina aufhält und muß mehrere Monate im Gefängnis verbringen. Am 25. Juli 1941 wird die Tochter Ruth geboren. Hans wird im Sommer 1942 gewerkschaftlich aktiv, er beginnt 1944 ein Fernstudium und bewirbt sich um Aufnahme in die Kommunistische Partei Palästinas, er wird 1945 Vollmitglied.
Die anderen Familienmitglieder müssen ebenfalls Deutschland verlassen. Der Bruder Walter war bereits 1937 nach Chile emigriert. Curt wird am 9. November in der Reichspogromnacht auf dem Ulmer Weinhof misshandelt und in das KZ Dachau verschleppt. Der jüngste Bruder Heyner verlässt 1939 Ulm und arbeitet als Schiffskoch. Er verlässt in Panama das Schiff, kauft ein Pferd und will auf abenteuerlichen Wegen zu seinem Bruder Walter nach Süd-Chile reiten. Unterwegs bekommt er ein Nierenleiden, das er für unheilbar hält. Am 17. Dezember 1941 begeht Heyner Suizid. Die der Familie gehörenden Ulmer Lebrecht-Werke werden „arisiert“ und für einen zu niedrigen Preis verkauft. Noch im Juni 1941 können die Eltern Lebrecht Nazi-Deutschland verlassen, sie flüchten in die USA und später nach Brasilien.
Im Mai 1945 wird Deutschland besiegt und Europa vom Nazi-Faschismus befreit, aber die Hoffnungen auf ein Ende kriegerischer Auseinandersetzungen erfüllen sich nicht. Die kommunistische Partei Palästinas, später auch die kommunistische Partei Israels treten für ein friedliches, gleichberechtigtes Zusammenleben von palästinensischen und jüdischen Einwohnern ein. In dieser Zeit, am 2. Oktober 1947 wird die Tochter Margalith geboren. Am 14. Mai 1948 wird der Staat Israel formell gegründet. Noch in der Nacht erklären sechs arabische Staaten den Krieg. Zwei Tage später geht Hans zur israelischen Armee.
Hans Lebrecht beginnt 1955 mit der Arbeit als Journalist für die israelische KP. Die KPI hat in diesen Jahren sowohl viele palästinensische als auch jüdische israelische Mitglieder. Im Jahr 1965 kommt es zu einer Spaltung der KPI, Hans schließt sich der marxistischen Fraktion RAKACH an. Er arbeitet ab 1966 bis April 1968 als Sekretär der Parlamentsfraktion der KPI in der Knesset. Der Sechs-Tage-Krieg bricht am 5. Juni 1967 aus. Hans Lebrecht beginnt seine vierjährige Arbeit als Auslandskorrespondent in Moskau und schreibt auf hebräisch, deutsch und englisch für die internationale, großenteils kommunistische Presse. Im April 1971 kehrt er nach Israel zurück. Am 6. Oktober 1973 erfolgt ein Überraschungsangriff der Armeen Syriens und Ägyptens, der sog. Jom-Kippur-Krieg gegen Israel.
Im Jahr 1982 erscheint das erste Buch von Hans Lebrecht: „Die Palästinenser – Geschichte und Gegenwart“, auf hebräisch, deutsch und tschechisch. Ende 1985 wird Hans pensioniert, beendet seine Tätigkeit im Zentralkomitee der KPI, arbeitet aber weiterhin als Journalist und berichtet über die Situation in Israel und Nahen Osten und bleibt ehrenamtlich politisch aktiv. Am 4. 11. 1995 erfolgt das Attentat auf Jitzhak Rabin. Im Juni 1997 wird Hans Lebrecht im Zuge längerer Fraktionskämpfe und einer politischen Neuorientierung ohne ordentliches Parteiverfahren aus der KPI ausgeschlossen, da er die „konservative“ Linie vertritt. Er ist weiter aktiv in der Friedensorganisation „Gusch Shalom“ von Uri Avneri.
Am 23. März 2001 stirbt seine Lebensgefährtin Tosca. Hans beendet seine umfangreichen Lebenserinnerungen. Er besucht noch einmal im September 2004 seine Geburtsstadt Ulm, dort erscheint 2007 eine stark gekürzte Fassung seiner Lebenserinnerungen als Buch: „Gekrümmte Wege, doch ein Ziel“. Hans Lebrecht lebt in den letzten Lebensjahren im Kibbuz Beit Oren in Israel in der Nähe seiner Tochter Ruth. Er stirbt dort im Alter von 98 Jahren am 25.September 2014.
Quellen:
Hans Lebrecht: „Die Palästinenser – Geschichte und Gegenwart“, 1982, bei Verlag Marxistische Blätter, ISBN 3-88012-672-0.
Die Palästinenser 1984 Dietz Verlag, 1986, auf hebräisch von Werk Universität Verlag, Israel; auf deutsch 2015 neu verlegt bei Zambon Verlag, ISBN 97889752444.
Hans Lebrecht: „Gekrümmte Wege, doch ein Ziel“, herausgegeben von Silvester Lechner für das Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg Ulm e.V., ISBN 978-3-932577-42-0.