Lechts gleich Rinks? Zangenangriff auf die Demokratie?

6. Februar 2020: Der thüringische Kurzzeit-Ministerpräsident Kemmerich (FDP) erklärt im ARD Morgenmagazin: „Neuwahlen in dieser Situation würden nur zu einer Stärkung der Ränder führen. Das können Demokraten nicht wollen.“

Was kann er damit meinen? Rechte und Linke nehmen die Demokratie in die Zange und zerstören sie so?

Auf drei Ebenen möchte ich zeigen, wie unsinnig diese Annahme ist: mit aktuellen Fakten, mit einem Blick in die Geschichte und einem in die politische Theorie.

Auf der Ebene der Tatsachen und Beobachtungen führt eine einfache Frage zu einer klaren Antwort. Wer bedroht, hetzt, mordet gegenwärtig in Deutschland? Und wie reagieren Polizei und Verfassungsschutz?

Von den Morden des NSU bis zu dem an Walter Lübcke, dem Kasseler Regierungspräsidenten, Polizei und Verfassungsschutz gehen zunächst fast regelmäßig von (oft als „verwirrt“ titulierten) Einzeltätern aus. Diese gezielte Verharmlosung macht rechte Terrornetzwerke und damit das Ausmaß der Bedrohung der Demokratie unsichtbar.

Wie viele Menschen Opfer rechter Morde wurden, hat die ZEIT ONLINE zusammen mit dem Tagesspiegel in einem Artikel vom 6.3.20 aufgelistet: 182 Morde seit 1990. Die Zahl spricht für sich. https://epaper.zeit.de/article/8c6e2f1690c354ba46f4f243b70aca648bd1481ddf218537ea522454cff9f7ca

Blicken wir kurz in die Geschichte – in das Jahr 1920. Die junge Weimarer Republik erlebt einen Putsch: Konservative (Kapp, Deutsche Vaterlandspartei), Militärs (Oberbefehlshaber Lüttwitz) und Kaisertreue (Deutsch-Nationale Volkspartei) wollen die demokratische Republik beseitigen. Sozialdemokraten und Kommunisten verteidigen gemeinsam mit Generalstreik und bewaffnetem Widerstand die noch junge Republik.

Und im Jahr 1933: Die rechten Kräfte sind wieder erstarkt. Die „Machtergreifung“ war tatsächlich eine geordnete Machtübergabe durch den konservativen Reichspräsidenten Hindenburg an Hitler.

So tendenziös wie der Begriff „Niederlage“ 1945 (erst 1985 vom Bundespräsidenten Richard v. Weizäcker als Tag der Befreiung bezeichnet) ist auch der der „Machtergreifung“.

Werfen wir zuletzt einen Blick auf die theoretische Legitimation hinter der Unterstellung der demokratischen Mitte und den zerstörerischen Rändern. Die Vertreter der Totalitarismustheorie postulierten einen totalen Herrschaftsanspruch einer Elite, die die Massen auf allen Gebieten beeinflusst und unterwirft. Unbestreitbar ist dies für die reaktionäre Rechte: Sie predigt völkischen Nationalismus, den Hass auf anders Denkende. und Politiker und Politikerinnen oder sich „missliebig“ Äußernde werden massiv bedroht. Markenkern der Rechten ist der Kampf gegen den „bürgerlichen“ Staat. Genährt wird dieses Denken von Vorstellungen, wie der von der natürlichen Ungleichheit der Menschen und neoliberaler Marktgläubigkeit. Nicht zu vergessen: die AFD ist auch als neoliberale Partei gegründet (B. Lucke, O. Henkel).

Kernelemente linker Vorstellungen dagegen sind soziale Gerechtigkeit, Emanzipation, Chancengleichheit. Das Fundament dafür ist das Grundgesetz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ (Art. 3 des GG).

Die Totalitarismustheorie mit der Analogie zu den Geschehnissen in der Weimarer Republik bleibt bei der Analyse auf der Erscheinungsebene hängen und erhellt nicht die wesentlichen zugrundeliegenden Strukturen. Denn nicht nur rechte Gewalt bedroht die rechtsstaatliche Autorität. Die gegenwärtige Wirtschaftsstruktur mit global agierenden Digitalkonzernen und international grenzenloser Finanzspekulation, die von den Rechten in keiner Weise thematisiert werden, droht die Handlungsfähigkeit des Staates auszuhebeln. Dagegen verteidigen linke Programme die Stärkung der Zivilgesellschaft und den Ausbau des Sozialstaats und treten damit für einen starken sozialen Staat ein.

W. P. S.